Arbeitnehmerlobby
oder Selbstorganisation?
DGB-Gewerkschaften als Konfliktmanager Von Ludwig Unruh Trotz aller Wortgefechte zwischen Regierung, Opposition und Unternehmerverbänden sind sie sich scheinbar darin einig, wenn es gilt, die "Bremser" der "dringend notwendigen Reformen" zu benennen: die Gewerkschaften. Denen gehe es nur um "Besitzstandswahrung" auf Kosten der Arbeitslosen, mit ihren "übermäßigen" Lohnforderungen gefährdeten sie die Zukunft des Standortes Deutschland. Der nüchterne Beobachter müsste sich darob eigentlich nur verwundert die Augen reiben. Haben die Gewerkschaften nicht mit ihrer Mitarbeit beim "Bündnis für Arbeit", in Hartz- und Rürup-Kommission um die Profitfähigkeit der "Deutschland AG" verdient gemacht? Bisher wurde doch fast jede Kröte geschluckt, Lohnzurückhaltung geübt usw. - nur um windige Beschäftigungsgarantien zu erhalten. Dass die öffentlichen Verlautbarungen von Sommer, Zwickel, Bsirske & Co. allenfalls dazu dienen, die frustrierte Mitgliedschaft bei der Stange zu halten, dürfte doch kaum zu übersehen sein. Nun ist es zwar (leider) nicht so, dass eine rebellierende Basis im Zaume gehalten werden muss. Auch viele Gewerkschaftsmitglieder haben die neoliberale Alltagsideologie verinnerlicht bzw. verbinden mit ihrer Mitgliedschaft kaum mehr als eine Rechtsschutzversicherung bei Problemen mit dem Arbeitgeber. Dennoch hängen sie einem weitverbreiteten Vorurteil an, demzufolge die Gewerkschaften in erster Linie zur Durchsetzung und Verteidigung von Arbeitnehmer-Interessen da seien. Das war vor langer Zeit auch einmal so, als die Arbeitnehmer noch Proletarier waren und diese gelernt hatten, dass sie ihre gemeinsamen Interessen auf dem Arbeitsmarkt nur durch Kartellbildung durchsetzen können. Manche betrachteten damals gar die Arbeitervereinigungen auch als ein Mittel zur Überwindung des Lohnsystems. Im Laufe des 20. Jahrhunderts konnten sich jedoch fast überall diejenigen durchsetzen, die die Gewerkschaften mittels Zentralisation zu schlagkräftigen Massenorganisationen machten, die sich zwar wenig um Basisdemokratie scherten, aber immerhin in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht nur einen erheblichen Reallohnzuwachs bei gleichzeitig verringerter Arbeitszeit für die Masse der Beschäftigten durchsetzen konnten, sondern auch ein paar "Mitspracherechte" in den Betrieben. Damit wurde aber auch eine Entwicklung eingeleitet, die über die Jahre dazu führte, dass die Gewerkschaften immer mehr zu gigantischen, konzernähnlichen Gebilden wurden, die durch einen sich immer mehr ausweitenden bürokratischen Apparat verwaltet werden. Engagierten Leuten an der Basis wurde es immer schwerer, sich mit ihren Vorstellungen gegen die geballte Macht der Funktionäre durchzusetzen. Die einfachen Mitglieder wurden immer mehr zur statistischen Masse, die zwar für Drohgebärden zur Unterstützung bei Tarifverhandlungen zu gebrauchen waren, darüberhinaus aber kaum eine Rolle spielten. Wesentlich blieb allein, dass sie ihren Beitrag entrichteten und so zum Erhalt des Gewerkschaftsbetriebes beitrugen. Dass dazu von Zeit zu Zeit auch ein paar materielle Vorteile für die Beitragszahler den Unternehmern "abgerungen" werden mussten, ist allenfalls als "kollateraler Nutzen" zu bezeichnen, nicht jedoch Ziel des Ganzen. Auf der anderen Seite sind Gewerkschaften darauf angewiesen, dass sie von ihren Partnern aus dem Unternehmerlager akzeptiert werden. Und deren Interesse am Erhalt der Gewerkschaften besteht darin, unkontrollierte Aktionen von unzufriedenen ArbeiterInnen zu unterbinden und jegliche Proteste in die existierenden "Konfliktregulierungsmechanismen" zu kanalisieren. Dass heute die Unternehmerfraktionen und neoliberale Politiker so wortradikal gegen die Gewerkschaften vom Leder ziehen, ist letztlich der Hoffnung in Teilen des Unternehmerlagers geschuldet, dass es solcher Mechanismen nicht mehr bedarf, da es kaum noch renitentes Potential in den Betrieben gibt. Dennoch denkt kaum jemand an die Zerschlagung der Gewerkschaften - man weiß ja nie, wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln. Aber "anpassen" an die Realitäten sollen sie sich schon. Standortsicherung ist angesagt und dazu bedarf es der Flexibilisierung überholter Rituale und Schutzverordnungen. Noch dem frechsten Erpressungsversuch durch Standortverlagerung, Arbeitsplatzabbau usw. wird gegen Gewährung von ein paar Jahren Arbeitsplatzgarantie der gewerkschaftliche Segen gegeben - und das Versprechen, diejenigen zu überzeugen, die das nicht einsehen wollen. Dennoch gehen immer
wieder junge Menschen, die sich auch nach ihrem Eintritt ins Berufsleben
ihren politischen Aktivismus bewahrt haben, in die Gewerkschaften und
versuchen dort, wenn schon nicht unmittelbar für die Revolution,
so wenigstens für die Interessen der Arbeitnehmer zu kämpfen.
Sie engagieren sich für eine kompromisslosere Gewerkschaftspolitik
gegenüber den Arbeitgebern, wirken in allerlei Gremien gegen Antifaschismus,
für Ausländerintegration oder "Humanisierung der Arbeit"
mit. Und dann passiert, was immer wieder in solchen Fällen passieren
muss: Sie reiben sich in der täglichen Kleinarbeit auf oder die "Sachzwänge"
des Gewerkschaftsalltags lehren auch ihnen den Blick für die "Realitäten".
Schließlich muss man ja die Klassengenossen dort abholen, wo sie
gerade stehen. Mit der Zeit lernen auch die radikalsten GewerkschafterInnen,
ihre ursprünglichen politisch-emanzipatorischen Absichten immer weiter
in die Zukunft zu verlagern. Irgendwann wandeln sie sich nach jahrelangem
ergebnislosen Anrennen gegen etablierte Strukturen und ebenso fruchtlosen
Verteilens von Flugblättern auf 1.-Mai-Kundgebungen zu Karteileichen
oder aber werden Teil des Apparates, der die nachfolgende Generation ausbremst.
Das ist nicht eben böser Wille oder "Verrat an der Basis",
sondern Ergebnis eines Prozesses der Einbindung in etablierte Strukturen
und der Verbindung von persönlichen Existenzinteressen mit denen
des Gewerkschaftsapparates. Ganze Generationen Linksradikaler sind so
schon ruhiggestellt worden, ohne dass die nachfolgende Generation daraus
gelernt hätte. Dass es auch anders gehen kann, zeigen die Verhältnisse in anderen Ländern. In Spanien z.B. spielen zunehmend die kleinen syndikalistischen Gewerkschaften eine wichtige Rolle in den Protesten und Kämpfen gegen Unternehmerwillkür und dessen staatliche Flankierung. Aber auch in Frankreich und Italien gibt es erfolgversprechende Ansätze einer Basisorganisierung von ArbeiterInnen und Arbeitslosen. Der Unterschied zu den etablierten, staatstragenden Gewerkschaften dort ist eben der, dass die Strukturen so angelegt sind, dass Basisinitiative nicht abgewürgt wird und Funktionäre - so es überhaupt welche gibt - keinen richtungsweisenden Einfluss haben und eine Schicht, deren persönliche Existenz von der Organisation abhängt, gar nicht erst entsteht. Auch betreiben diese Organisationen keine Lobbyarbeit zugunsten einiger Schichten der ArbeiterInnenklasse. Sie sind Organe der Selbstorganisation der Klasse - oder streben das zumindest an. Es dürfte an der Zeit sein, dass wir auch hierzulande den Versuch wagen, unsere Energie in den Aufbau von eigenen Organisationen zu stecken. Auf einen Versuch käme es jedenfalls an. |