Ludwig
Unruh
Klassenkämpfe
und Globalisierung
Beverly
Silver über die weltweiten Klassenbewegungen seit 1870 - eine Buchvorstellung.
Spätestens in den 1990er
Jahren schien es für viele, dass mit dem Zusammenbruch des Ostblocks
auch die Arbeiterbewegung im Westen an ihr historisches Ende gelangt sei.
Nicht nur Politiker, auch viele Sozialwissenschaftler diagnostizierten
das endgültige "Ende der Arbeiterklasse". Und diese schien
ihnen - zumindest in hiesigen Breitengraden - Recht zu geben. Es kam zu
einem allgemeinen Abflauen von Arbeiterkämpfen, und die die stattfanden,
waren in der Regel Rückzugsgefechte, Aktionen gegen Massenentlassungen
oder Fabrikschliessungen.
Zweifel an dieser Diagnose hegten u.a. einige SoziologInnen am Fernand
Braudel Center an der Binghamton University des Staates New York. Sie
gründeten eine World Labor Research Group, die sich an die Aufgabe
machte, eine Statistik der weltweiten Arbeiterkämpfe seit 1870 zu
erarbeiten. Die Ergebnisse dieser Studie nahm Beverly J. Silver, heute
Soziologie-Professorin, zum Ausgangspunkt für die Untersuchung der
Arbeiterkämpfe im globalen Maßstab. In ihrem jüngst erschienen
Buch "Forces of Labor" stellt sie einige Thesen auf, die es
verdienen, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht zu werden.
Leider gibt es bisher noch keine deutsche Übersetzung, daher sollen
ihre Thesen hier etwas ausführlicher vorgestellt werden.
Um es vorwegzunehmen: sie kommt
nach einer ausführlichen Untersuchung der Entwicklungstendenzen von
Klassenkämpfen zu dem Schluss, dass es nicht nur keinen generellen
Trend zu weniger Klassenkämpfen gibt, sondern die Verhandlungsmacht
der ArbeiterInnen im Laufe des 20. Jahrhunderts gewachsen ist und wir
derzeit möglicherweise am Vorabend eines generellen Aufschwungs der
weltweiten Kämpfe der Arbeiterbewegung stehen.
In der Tradition der Wallersteinschen Weltsystemtheorie1
hält sie für die Analyse des Kapitalismus generell eine Erweiterung
des zeitlichen und geografischen Rahmens der Untersuchung für unumgänglich.
Prozesse wie Arbeiterkämpfe sind dementsprechend nur im globalen
Rahmen sinnvoll analysierbar, da diese sich - über die weltweite
internationale Arbeitsteilung, globale politische Prozesse als auch über
die Verbreitung von Informationen und solidarische Netzwerke - gegenseitig
beeinflussen. Ein Abflauen von Arbeiterkämpfen in Regionen, aus denen
das Kapital flüchtet, hat i.d.R. einen Aufschwung in den Gegenden
zur Folge, in die die Unternehmen verlagert werden.
Wenn zudem der zeitliche Rahmen der Betrachtung vergrössert wird,
kann man feststellen, dass Prozesse, wie die gegenwärtige Globalisierung
durchaus nicht so neu sind, wie vielfach behauptet. Gerade die heutige
Situation hat viel Ähnlichkeit mit der Ende des 19. Jahrhunderts,
so dass daraus u.U. bestimmte, sich wiederholende Bewegungen in der Entwicklungen
des kapitalistischen Weltsystems abgeleitet werden können.
Die Frage ist dabei nicht, inwiefern sich bestimmte lokale Prozesse von
einem Musterprozeß (wie z.B. der kapitalistischen Entwicklung in
den Metropolen) unterscheiden, sondern warum gleichartige Bedingungen
zu unterschiedlichen (Klassenformierungs-)Prozessen führen. I.d.R.
gibt es nicht eine interne Ursache für die Verschiedenartigkeit der
Ergebnisse, sondern nur eine Betrachtung der Beziehungen zwischen den
einzelnen Prozessen eröffnet umfassende Erkenntnismöglichkeiten
der Geschehnisse im Weltsystem. Silver plädiert dabei für die
Erkenntnis-Methode des "vereinigenden Vergleichs", nach der
erst eine Betrachtung der Interaktion zahlreicher Subkomponenten das System
als Ganzes erklären kann.
Arbeitermacht
Zunächst untersucht
die Autorin aber die Quellen der Arbeitermacht. Im Anschluss an Erik Wright
klassifiziert sie zwei unterschiedliche Arten von "Verhandlungsmacht".
Zunächst einmal besitzen die ArbeiterInnen aufgrund ihrer Stellung
im Produktionsprozess eine strukturelle Macht, die es ihnen erlaubt, Zugeständnisse
von den Unternehmern bzw. ihrem Management zu erlangen. Diese basiert
zunächst erst einmal ganz einfach darauf, dass KapitalistInnen zur
Verwertung ihres Kapitals Arbeitskräfte benötigen, die sie i.d.R.
auf dem Arbeitsmarkt kaufen müssen. Der Preis für die Arbeitskraft
ist umso höher, je gesuchter deren Qualifikation bzw. je geringer
das Angebot auf dem Arbeitsmarkt ist. Diese Quelle von Macht der ArbeiterInnen
nennt sie "Arbeitsmarktverhandlungsmacht" (marketplace bargaining
power), im Gegensatz zur "Arbeitsplatzverhandlungsmacht" (workplace
bargaining power), die aus der konkreten Stellung der Arbeiter im Produktionsprozess
resultiert. Diese ist umso höher, je grösser die Auswirkungen
von Arbeitsniederlegungen oder auch Sabotage am Arbeitsplatz sind - u.U.
kann die Arbeitsverweigerung eines einzelnen Arbeiters an einer wichtigen
Schaltstelle die Produktion eines gesamten Werkes stillstellen bzw. ein
Streik in einem wichtigen Werk eine ganze Branche lahmlegen.
Jedoch gibt es auch viele Branchen und Berufszweige, in denen Arbeitsniederlegungen
oft keine kurzfristigen Zugeständnisse erreichen lassen, da ihre
Wirkung nur mittelbar oder zu gering ist - z.B. wenn die Branche nur aus
sehr kleinen Betrieben besteht bzw. Arbeitskräfte durch ein Überangebot
sehr schnell ersetzt werden können. Dann kommt es vor allem darauf
an, dass die ArbeiterInnen eine andere Form von - kollektiver - Macht
entwickeln. Diese Art von Arbeitermacht nennt Silver "Vereinigungsmacht"
(associational power).
Verhandlungsmacht bedeutet aber auch, dass es nicht notwendigerweise zu
Kämpfen kommen muss, um Zugeständnisse von der Unternehmerseite
zu erlangen. Oft ist denen die Macht der ArbeiterInnen durchaus bewußt
und sie lassen es - zumindest solange ihre Profite nicht gefährdet
sind - gar nicht erst darauf ankommen. Sie gewähren den Beschäftigten
von vornherein bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung, als anderswo
üblich. Ist dies jedoch nicht der Fall, kommt es immer wieder zu
Arbeitskämpfen.
Polanyi
und Marx
Arbeiterkämpfe
sind generell Kämpfe, die ihre Ursache in der Proletarität haben,
d.h. ArbeiterInnen wehren sich gegen die Behandlung ihrer Arbeitskraft
als eine Ware. Dabei unterscheidet Silver zwei unterschiedliche Typen
von Kämpfen, die sich jeweils auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen
des kapitalistischen Systems durch die Wirtschaftshistoriker und Sozialisten
Polanyi (1886-1964) bzw. Marx (1818-83) beziehen. Beide gemeinsam haben
jedoch die Analyse der Arbeitskraft als einer "fiktiven Ware"
zum Ausgangspunkt.
Marx-typische
Kämpfe
Marx konzentrierte
sich bei seiner Analyse des Kapitalismus auf Arbeiterkämpfe, die
sich - schon aus Selbsterhaltungsgründen - gegen die maximale Vernutzung
ihrer Arbeitskraft in der Produktion richten. Kapitalisten kaufen Arbeitskräfte,
die sie als Ware wie jede andere behandeln - sie versuchen, einen maximalen
Ertrag aus ihnen herauszuholen. Jedoch müssen sie i.d.R. schon bald
feststellen, dass diese eben keine Ware wie jede andere sind. Arbeitskräfte
sind immer an ihren Träger, den Menschen, gebunden, der sich gegen
eine maximale Vernutzung wehrt. Das geschieht geradezu zwangsläufig,
da diese ihre Arbeitskraft über einen längeren Zeitraum erhalten
müssen, da sie als Einkommensquelle nichts anderes besitzen.
Marx betont die Abhängigkeit des Kapitals von den ArbeiterInnen.
In ihrer Fähigkeit, den Verwertungsprozeß des Kapitals zu stören
bzw. zu unterbrechen, liegt die Quelle ihrer Macht. Dadurch sind die Kapitalisten
immer wieder gezwungen, den ArbeiterInnen Zugeständnisse zu machen.
Diesen ArbeiterInnenwiderstand versuchen die Kapitalisten durch eine beständige
Revolutionierung der Produktion und der sozialen Beziehungen zu brechen
- um ihn gleichsam auf höherer Stufe erneut zu reproduzieren. Zwar
gelingt es, im Laufe der kapitalistischen Entwicklung durch die tendenzielle
Ausdehnung der industriellen Reservearmee die Arbeitsmarktverhandlungsmacht
zu untergraben, gleichzeitig wird jedoch die Arbeitsplatzverhandlungsmacht
mit jeder neuen Entwicklungsstufe gestärkt. Daraus entsteht faktisch
eine Aufwärtsbewegung der Arbeiterkämpfe, Kämpfe, die sich
in erster Linie auf eine Teilhabe an den Ergebnissen kapitalistischer
Ausdehnungsprozesse richten. Diese Art von Kämpfen direkt auf der
Produktionsebene, die sich vorrangig gegen die Aneignung von Mehrwert
durch die Kapitalisten richten, nennt Silver Marx-typisch (Marx-type).
Polanyische
Kämpfe
Polanyi hingegen
bezeichnet die Arbeitskraft - wie auch den Boden und das Geld - als fiktive
Waren, da sie nicht für den Markt produziert wurden. Ihre Behandlung
als Waren führt notwendigerweise zu einer Umwandlung der Gesellschaft
in ein Anhängsel der Ökonomie, was - ohne entsprechende Gegenmaßnahmen
- zu einer Zerstörung der gesellschaftlichen Grundlagen führt.
Kern der Polanyischen Kritik ist die von liberalistischen Ideologen gepriesene
sich "selbstregulierende Marktwirtschaft". Diese basiere auf
einem dem Menschen an sich fremden Gewinnstreben als zentralem Motiv des
Wirtschaftens. Dadurch wurde ein "Mechanismus" in Gang gesetzt,
der "nur mit den wildesten Ausbrüchen religiösen Eifers
in der Geschichte zu vergleichen" sei.2 Dabei sind
Märkte durchaus nicht per se als negativ einzuschätzen, seine
Kritik gilt der Marktwirtschaft, d.h. einer Gesellschaft, in denen Märkte
nicht mehr als eine Form der Distribution3 neben anderen
existieren, sondern dem gesamten gesellschaftlichen Leben ihren Stempel
aufdrücken. Er nennt das eine "Entbettung" der Ökonomie
aus ihren gesellschaftlichen Grundlagen.
Die Entwicklung des Kapitalismus ist von einer ständigen Tendenz
zur Ausbreitung von Marktverhältnissen verbunden. Von Beginn an wurden
und werden Menschen ihrer Subsistenzmöglichkeiten beraubt und damit
zum Verkauf ihrer Arbeitskraft auf Arbeitsmärkten gezwungen. Die
daraus resultierende Unsicherheit ihrer Existenz fordert den Widerstand
der Betroffenen heraus, die sich gegen die durch sie selbst kaum zu beeinflussenden
Unwägbarkeiten ihrer Lebenshaltung wehren. Die daraus entstehenden
Gegenbewegungen führen zu einer Zurückdrängung des Markteinflusses.
Das kann einerseits durch den Erlaß von gesetzlichen Regelungen
zum Schutz der Arbeitskraft oder durch die Einrichtung von sozialen Versicherungssystemen,
die Arbeitskräfte, die zeitweise oder dauerhaft nicht mehr in der
Lage sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, ein Mindestmaß an Einkommen
sichern. Polanyi sieht aber auch in der Genossenschafts- und Gewerkschaftsbewegung
eine Form des Selbstschutzes der ArbeiterInnen gegen die Auswirkungen
des Wirkens von Marktkräften.
Solcherart Gegenbewegungen gehen jedoch zu Lasten des Profits und erzeugen
damit wachsenden Druck durch die Kapitalisten, die diese Entwicklungen
wieder rückgängig machen wollen. Damit kommt es im Laufe der
Zeit zu einer Art Pendelbewegung zwischen Komodifizierung und Dekommodifizierung
der Arbeitskraft. Polanyi hat für solcherart von Liberalisierungs-
und Reregulierungstendenzen den Begriff der "Doppelbewegung"
geprägt. Im Anschluss an diese These nennt Silver die Kämpfe,
die sich gegen die Ausbreitung unkontrollierter (Arbeits-)Märkte
richten, Polanyi-typisch (polanyi-type).
Silver übernimmt jedoch nicht einfach Polanyis Sichtweise, sondern
kritisiert z.B., dass dieser nicht erklären kann, aus welcher Quelle
sich die quasi urwüchsigen Gegenbewegungen der Gesellschaft gegen
die Ausbreitung der Märkte speisen, dass er keinen Begriff von "Macht"
habe. Bei Polanyi entstehen solcherart Gegenbewegungen geradezu zwangsläufig,
da durch die ungehinderte Ausbreitung von Märkten Chaos produziert
werde - was ungeachtet des Druckpotentials, quasi aus Vernunftsgründen,
gestoppt werden muss und auch wird. Wenn die Kräfte von unten nicht
stark genug sind, geschieht das dann durch andere gesellschaftliche Kräfte
bzw. durch den Staat von oben.
Grenzziehungen
Nennenswerte Zugeständnisse
über einen längeren Zeitraum können dabei immer nur an
einen zahlenmässig kleinen Teil der Weltarbeiterschaft gemacht werden.
Daher werden Arbeiterkämpfe immer nicht nur um Inhalte und Umfang
von Arbeiterrechten gemacht, sondern auch um die Art und Anzahl der ArbeiterInnen,
die von diesen betroffen sind. Diese Grenzziehungen - wie z.B. zwischen
Geschlechtern, Rassen, Ethnien, Nationalitäten, aber auch Qualifikationen
- sind ständig umkämpft. Sowohl Kapitalisten (und Staat), als
auch die Arbeiter selbst errichten und bekämpfen solcherart Grenzen.
Das Kapital ist einerseits daran interessiert, Grenzen zu errichten, um
den Teil der Arbeiterklasse, den sie für die Stabilisierung des Systems
braucht und damit gewisse Konzessionen einräumt, auf ein für
ihre Gesamtprofitabilität ungefährliches Maß zu begrenzen.
Andererseits - falls diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist - reisst
es Grenzen ein, um den Konkurrenzdruck unter den ArbeiterInnen zu verschärfen.
Aber nicht nur das Kapital ist an der Errichtung von Grenzen interessiert.
Auch Teile der Arbeiterklasse versuchen - insbesondere in Zeiten abnehmender
Verhandlungsmacht - Grenzen zu errichten, um ihre erkämpften Standards
durch Begrenzung auf einen geringeren Teil zu erhalten. Und nicht zuletzt
der Staat versucht durch Steuerung der Immigration Arbeitsmärkte
zu regulieren.
Auswege
aus der Profitklemme
Trotz derartiger
Grenzziehungen stösst das Kapital - aufgrund innerkapitalistischer
Konkurrenz, als auch von zunehmenden Drucks seitens der Arbeiterklasse
- immer wieder an Profitabilitätsgrenzen. Um die Verwertungsmöglichkeiten
des Kapitals wieder zu verbessern, entwickelt das Kapital verschiedene
Strategien, die ihrerseits bestimmte, immer wieder zu beobachtende Entwicklungen
nach sich ziehen. Silver nennt diese Strategien "fixes", Lösungsmöglichkeiten,
die aber immer nur kurzfristige Auswege bieten.
Standortverlagerungen
Da wäre zunächst
einmal die Möglichkeit, Kapital in Niedriglohnländer (bzw. Gegenden
mit geringer Vereinigungsmacht der Arbeiter) zu verlagern ("spatial
fix"). Im Buch wird diese Methode zur Lösung von Profitabilitätsproblemen
anhand der führenden Industrie des 20. Jahrhunderts, der Automobilindustrie,
untersucht. Im Laufe der Entwicklung dieses Industriezweiges konnten verschiedene
geografische Schwerpunkte der Automobilproduktion festgestellt werden.
Ihren Ausgangspunkt nahm sie in den 1920/30er Jahren in den USA, in der
Zeit nach dem 2. Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt nach Westeuropa,
später auch Südeuropa und gelangte schliesslich in den 1980/90er
Jahren in verschiedene Schwellenländer, wie Brasilien, Südkorea,
Mexiko. Aufgrund der Auswertung der Daten der World Labor Group hat die
Autorin festgestellt, dass dieser Verlagerung der Produktion unmittelbar
auf dem Fuße eine Verlagerung der Zentren der Klassenkämpfe
folgte. Während die Verhandlungsmacht der ArbeiterInnen in den vom
Kapital verlassenen Gegenden sank, wuchs diese - und mit ihr die Arbeiterkämpfe
- in den neuen Standorten der Automobilproduktion. Inzwischen deutet sich
eine neue Runde der Produktionsverlagerung in der Automobilindustrie an
- mit dem neuen Schwerpunkt China. Damit hat das Kapital dann aber den
Globus umrundet - inzwischen gibt es schon wieder neue Investitionen am
Ausgangspunkt seiner Reise, den USA4.
Umstrukturierung
der Produktion
Eine Ausnahme bei
den weltweit zu beobachtenden Verlaufsmustern von Produktionsverlagerungen
und Arbeiterkämpfen bildet Japan. Im Gegensatz zu seiner Bedeutung
als Automobilstandort kam es dort - mit Ausnahme der unmittelbaren Nachkriegszeit
- zu keinen nennenswerten Arbeiterkämpfen. Silver führt das
vor allem auf das japanische Produktionsmodell zurück. Im Gegensatz
zum sonst verbreiteten vertikal integrierten fordistischen Konzern, setzte
in Japan - allen voran Toyota - auf ein mehrschichtiges Subkontrakt-Modell.
In diesem "toyotistischen" System wird den Kernbelegschaften
die Mitarbeit bei der Rationalisierung der Produktion durch eine quasi
lebenslange Beschäftigungsgarantie abgekauft. Damit konnten dort
Arbeiterkämpfe weitgehend vermieden werden. In den Betrieben der
Zulieferketten hingegen dominierten flexible Niedriglohnjobs, die hauptsächlich
von Frauen bzw. ArbeiterInnen aus ländlichen Gegenden bzw. später
in anderen Ländern Südostasiens ausgeübt wurden.
Mit der Krise der 1970er Jahre breiteten sich japanische Automobilkonzerne
auch in Westeuropa und den USA aus. Die dort bereits ansässigen Konzerne
versuchten, sich der japanischen Konkurrenz durch die Übernahme toyotistischer
Elemente zu erwehren. Die Produktion wurde verschlankt (Lean Production,
flexible Arbeitsorganisation, Just-in-time-Produktion), ohne allerdings
die japanischen Beschäftigungsgarantien zu übernehmen. Zeitweilig
gelang es dadurch, den Druck auf die ArbeiterInnen in den Kernbetrieben
zu erhöhen. Die anhaltende Krise bot aber bereits keinen Spielraum
für sonstige Formen der Motivation der Beschäftigten, so dass
eine längerfristige Lösung für das Rentabilitätsproblem
auch hier ausblieb. Silver nennt diese Formen der Umstrukturierung der
Produktion "technological/organizational fix".
Produktzyklen
Eine weiterer Ansatz
für die Lösung der Profitklemme ist die Verlagerung des Produktionsschwerpunktes
in andere Sektoren ("product fix"). Wie bereits angedeutet,
war die Automobilindustrie die bestimmende Industriebranche des 20. Jahrhunderts.
Sie löste die zuvor dominierende Textilindustrie ab und steht selbst
heute vor der Ablösung durch noch zu bestimmende zentrale Branchen
des 21. Jahrhunderts.
Innerhalb einer bestimmten Branche gibt es verschiedene Phasen der Entwicklung
der Produktion. In der Innovationsphase gelingt es Unternehmen, z.B. aufgrund
technologischer Innvoationen ein neues Produkt zu etablieren. Dadurch
kommen sie in den Genuß von Extraprofiten, da der Konkurrenzdruck
gering ist. Durch diese Profite ist es auch möglich, den Beschäftigten
weitgehende Zugeständnisse einzuräumen. Aufgrund dessen und
der dort vorhandenen höheren Kaufkraft findet die Produktion in dieser
Phase vor allem in den kapitalistischen Kernländern statt.
Mit zunehmender Konkurrenz durch andere Anbieter und wachsenden Ansprüchen
der ArbeiterInnen gerät der Produktzyklus in eine neue Phase. Der
Druck auf die Arbeitenden wird erhöht, deren Reaktionen wiederum
verschärfen dann oft die Profitabilitätskrise. Schliesslich
kommt es zu Standortverlagerungen in Niedriglohnländer, wo der Zyklus
auf neuer Stufenleiter beginnt. In den in den Hochlohnländern verbleibenden
Standorten hingegen setzen Umstrukturierungen ein, wodurch die dortige
Produktion meist - mit weniger Beschäftigten - aufrechterhalten werden
kann. Unterstützung erhalten solche Branchen dann oft durch staatlichen
Protektionismus, den durchzusetzen die kap. Kernländer - im Gegensatz
zu den Ländern in der Peripherie - auch in der Lage sind.
Durch solcherart von Produktzyklen kommt es, im Gegensatz zur Standortverlagerung
innerhalb der Branche, zu einer Verlagerung der Schwerpunkte der Arbeiterkämpfe
zwischen den Sektoren. Dabei sind solche Ablösungen von Schwerpunktindustrien
nicht nur auf der Makroebene (Textil/Auto) zu beobachten. Auf der Mikroebene
gibt es ständig eine Vielzahl von Wechseln solcher Produktzyklen.
Heute kann man die Automobilindustrie nicht mehr als den weltweit führenden
Sektor bezeichnen. Wenn man versuchen will, die Schwerpunkte neuer Kämpfe
zu bestimmen, sollte man sich aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit
auf die Suche nach den Schwerpunktsektoren des 21. Jahrhunderts machen.
Das ist heute jedoch nicht so einfach, da gerade ihre Flexibilität,
die sich u.a. in einer schwindelerregenden Vielzahl von Produkten äussert,
eine hervorstechende Eigenschaft der "postfordistischen" Produktionsweise
ist. Silver untersucht eine Reihe von Branchen hinsichtlich ihrer Bedeutung
und der Verhandlungsmacht der dort Beschäftigten (Halbleiterindustrie,
Bildungssektor, Dienstleistungssektor), ohne sich jedoch auf einen führenden
künftigen Sektor festlegen zu wollen.
Flucht
in den Finanzsektor
Falls all die bisher
aufgezählten Auswege versperrt sind bzw. nicht gefruchtet haben,
hilft nur noch die "Fortsetzung des Produktzyklus mit anderen Mitteln"
- die Flucht in den Finanzsektor ("financial fix"). Es wird
nicht mehr in Produktion oder Handel investiert, stattdessen kommt es
zu einer Ausweitung von Geldverleih und Spekulation. Das ist z.B. heute
der Fall, ähnlich wie zu Ende des 19. Jahrhunderts. In beiden Fällen
wird dieser Trend durch eine wachsende Geldnachfrage des Staates für
die Rüstung begünstigt. Generell ist die Flucht in den Finanzsektor
von einer allgemeinen Schwächung der Verhandlungsmacht der Arbeiterklasse
begleitet, was in beiden Fällen viele Zeitgenossen dazu veranlasste,
das Ende der Arbeiterbewegung zu verkünden. Im Falle der Globalisierungswelle
um die Jahrhundertwende 1900 war diese Krise nur von kurzer Dauer. Wachsende
Einkommensdifferenzen führten zu einer zunehmenden Militanz der Arbeiterklasse
und einem Wiederanstieg der Verhandlungsmacht. Aber auch heute scheinen
einige Ereignisse in der jüngsten Geschichte auf eine solche Wiederbelebung
der Kämpfe hinzudeuten.
Arbeiterbewegung
und Kriege
Mit dem Erfolg der
Arbeiterbewegungen am Vorabend des ersten Weltkrieges kam es auch zu einem
fundamentalen Wandel hin zu einer "Sozialisierung des Staates".
Sowohl Politiker als auch Unternehmer drängten auf ein stärkeres
Eingreifen des Staates auf dem Gebiet der sozialen Sicherung, als auch
der Wirtschaft. Insbesondere die zunehmenden innerimperialistischen Rivalitäten,
verbunden mit der Industrialisierung der Kriegführung, sowie das
Anschwellen der Klassenkämpfe führten zu Zugeständnissen
des Staates hinsichtlich sozialer Absicherung und politischer Rechte und
zu einem Rückgang offener Formen von Repression.
Der erste Weltkrieg selbst führte dann zu einem mächtigen Schub
in der Entwicklung der Klassenkämpfe - jedoch erst zum Ende des Krieges.
Bei Kriegsbeginn hingegen kam es zu einem historischen Tief, als nationalistische
Begeisterungswellen in den Arbeiterklassen nahezu aller kriegsbeteiligten
Länder die Zweite Internationale zusammenbrechen liessen.
Silver greift zur Charakterisierung des Zusammenhanges von Klassenkämpfen
und Weltkriegen auf scheinbar sich widersprechende Thesen der Sozialwissenschaften
zurück. Nach diesen gibt es entweder durch die Kriegsbeteiligung
einen verstärkten nationalen Zusammenhalt, der die sozialen Widersprüche
überdeckt, oder aber der Krieg verschärft die sozialen Widersprüche
so stark, dass es zum offenen Ausbruch von Arbeiterunruhen kommt. Ein
weitere These besteht darin, dass Kriege von Staaten angefangen werden,
um die Eskalation bestehender sozialer Konflikte zu verhindern. Silver
hält alle drei Thesen für gültig - nur eben für unterschiedliche
Phasen des Krieges. In der Vorkriegsphase bekommt die letztgenannte These
ihre Gültigkeit - jeweils die Vorkriegszeit des ersten wie auch des
zweiten Weltkrieges war eine Hochzeit der weltweiten Klassenkämpfe.
Zu Beginn der Kriege gelang es den Regierungen meist, die ArbeiterInnen
zum Stillhalten bzw. zur aktiven Kriegsunterstützung zu bewegen,
eine Unterstützung, die im Verlaufe des Krieges - und zumeist ungeachtet
seiner Ergebnisse - in offene Ablehnung umschlägt. Die jeweiligen
Aufschwungphasen des Klassenkampfes nach den Weltkriegen stützen
auch diese These.
Dieser Zusammenhang von (Welt-)Kriegen und Arbeiterkämpfen gab dann
auch der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein Gepräge.
Aus diesen Zusammenhänge haben auch die westlichen Staaten gelernt.
Spätestens seit der Niederlage der USA in Vietnam, die in erster
Linie durch das Aufkündigen der Gefolgschaft der betroffenen Arbeiterschichten,
die die Mannschaften der Streitkräfte stellten, verursacht wurde,
wurde die Automatisierung des Krieges in Angriff genommen. Dadurch sollen
nennenswerte Verluste unter der eigenen Bevölkerung und somit die
Entstehung von Protestbewegungen vermieden werden. Die Autorin stellt
sich die Frage, ob es damit den Herrschenden in den USA gelungen sein
könnte, den Zusammenhang zwischen Krieg und Arbeiterkämpfen
in den Kernländern aufzuheben - eine Frage, die durch die jüngsten
Entwicklungen im Irak wohl mit nein beantwortet werden kann.
US-Hegemonie
Nach dem zweiten
Weltkrieg begann eine Phase der US-Hegemonie, der es gelungen war, mit
der Übernahme der Führungsrolle innerhalb des westlichen Lagers
innerimperialistische Konflikte zu unterdrücken und in der es - angesichts
der Entwicklungen in Russland und China - zu tiefgreifenden institutionellen
Reformen in Richtung einer Dekommodifizierung5 der Arbeitskraft
kam. Den Gewerkschaften wurde eine weitgehende Teilhabe an der Gestaltung
der makroökonomischen Rahmenbedingungen eingeräumt, im Gegenzug
verpflichteten sie sich zu Lohnforderungen, die im Rahmen der ökonomischen
Rahmendaten lagen und gleichzeitig räumten sie dem Management das
alleinige Recht auf Rationalisierungsmaßnahmen ein. Die steigende
Massenkaufkraft erhöhte die Möglichkeiten von neuen Produktzyklen,
die importsubstituierende Politik in den Ländern der Dritten Welt
eröffnete Räume für Direktinvestitionen. Somit standen
dem Kapital sämtliche Möglichkeiten zur Begegnung von Profitklemmen
offen.
Zwar führten auch diese Reformen nicht zu einer dauerhaften Lösung
des Profit- bzw. Legitimationsproblems, dennoch kam es für eine Periode
von über 20 Jahren zu einer relativ stabilen Entwicklung des kapitalistischen
Systems - in den Kernländern, währenddessen Repression in den
Ländern der Peripherie weiterhin die Arbeiter-Kapital-Beziehungen
dominierte.
Mit der ökonomischen Krise zu Beginn der 1970er Jahre gelangte auch
diese Phase an ihr historisches Ende. Dazu trugen sowohl die wachsenden
Ansprüche der Arbeiterklasse und die gesunkene Fähigkeit der
Gewerkschaften, Basismilitanz im Zaume zu halten, als auch die immens
gewachsene Staatsverschuldung bei. Das Kapital zog alle Register zur Lösung
der Profitklemme - von technologischen Umstrukturierungen (Automatisierungsoffensive)
über Standortverlagerungen in Niedriglohnländer bis hin zur
Flucht in den Finanzsektor. All diese Maßnahmen untergruben die
Verhandlungsmacht der Arbeiterklasse und in den 1980er Jahren kam es zum
konzertierten Angriff durch Staat und Kapital, der zu einer schweren Krise
der Arbeiterbewegung führte. Jedoch wurde diese Entwicklung von der
in den Ländern, wohin das Kapital floh, konterkariert. In den neu
industrialisierten Ländern (Südkorea, Südafrika, Brasilien
...) kam es zu einem Aufschwung an Arbeiterkämpfen, wodurch wiederum
eine längerfristige Lösung der Profitklemme verhindert wurde.
Mit der darauf folgenden massiven Flucht in den Finanzsektor verschärfte
sich die generelle Krise der Arbeiterbewegung - eine Krise, die bis heute
nicht überwunden ist.
Ausblick
Sehr angenehm an
Silvers Buch ist vor allem die weitgehend ideologiefreie Betrachtungsweise
der Entwicklung der Arbeiterkämpfe, die sich auch positiv von den
apokalyptischen Sichtweise vieler (Metropolen-)Linker abhebt, die der
Arbeiterklasse schon längst ihr Ableben diagnostiziert haben. Zwar
hilft es der hiesigen Linken zunächst nicht unbedingt weiter, wenn
sie auf neue Wellen von Klassenkämpfen in China hoffen darf - dennoch
verhilft Silvers Buch auch uns zu einem neuen Blick auf die Situation
der (Welt-)Arbeiterklasse. Klasse ist für sie nicht eine statische
Angelegenheit, sondern ein ständiger Prozess der Neuzusammensetzung
und -formierung. Zudem verweist sie mit ihrer differenzierten Betrachtungsweise
der Rolle von Staaten die These von der "sinkenden Bedeutung des
Staates" im Zeitalter der Globalisierung ins Reich der Legende -
ebenso wie die These, dass die Globalisierung ein grundsätzlich neues
Problem sei.
Interessant für uns als SyndikalistInnen dürfte auch Silvers
Hinweis auf die grundsätzliche Ähnlichkeit der Situation heute
mit der Ende des 19. Jahrhunderts sein - ein Zeitraum, in dem in vielen
Ländern syndikalistische Bewegungen entstanden. Bei ihrer Suche nach
möglichen neuen zentralen Industrien des 21. Jahrhunderts beschreibt
die Autorin auch die neuen Organisierungsformen, die z.B. von DienstleistungsarbeiterInnen
in den USA ausprobiert werden, die sich nicht vorrangig klassischerweise
an ihrem Arbeitsplatz organisieren können, da sie letztlich bei zahlreichen
verschiedenen Subunternehmen verstreut beschäftigt sind. Diese haben
sich die Community als Organisierungsebene auserkoren, und als Gegner
weniger ihren direkten Ausbeuter, sondern dessen Kunden. Letztlich sind
solche Methoden, bestimmte Servicebereiche aus den Unternehmen auszugliedern
und an viele kleine Firmen zu vergeben (Silver nennt das "byzantinische
Unternehmensstukturen"), nur Versuche, der direkten Verantwortung
für die miesen Beschäftigungsbedingungen dort zu entkommen.
Und in ihrem Kampf stützen sie sich auch auf andere lokale Netzwerke
bzw. Initiativen, die sich mit auch für sie relevante Themen beschäftigen
(z.B. Rassismus-, Genderfragen, die gerade aufgrund der heterogenen Zusammensetzung
dieses Dienstleistungsproletariats von Bedeutung sind).
Auf der anderen Seite reicht Silvers Blick aber kaum über die Grenzen
des Kapitalismus hinaus. Teilweise bekommt man den Eindruck, als ob die
Geschichte der Arbeiterkämpfe und der Versuche des Kapitals, die
Profiteklemmen zu überwinden, nahezu endlos - in zahlreichen weiteren
Pendelbewegungen - so weiter gehen könnte. Ihre letztlich erfolglose
Suche nach einem neuen "product fix" könnte ja ein Hinweis
darauf sein, dass die kapitalistischen Entwicklung an einem Punkt angelangt
ist, wo solcherart Lösungen in nennenswertem Umfang gar nicht mehr
möglich sind. Ebenso wäre dann noch zu thematisieren, inwiefern
Klassenkämpfe Elemente enthalten, die über den Kapitalismus
hinausführen. Aber das ist schon Stoff für ein weiteres Buch.
Die Autorin
Beverly J. Silver
ist Soziologie-Professorin an der Johns Hopkins University, Baltimore
(USA) und Mitglied der World Labor Research Group am Fernand Braudel Center.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind die verschiedenen sozialen Prozesse der
Globalisierung, die sie in einen breiteren räumlich-zeitlichen Zusammenhang
stellt und dadurch versucht, immer wiederkehrende Muster von tatsächlich
neuen Erscheinungen zu unterscheiden.
Das Buch
Forces of Labor:
Workers' Movements and Globalization Since 1870. Cambridge Studies in
Comparative Politics. Cambridge University Press 2003, 240S., ca. 22 Euro.
Erhältlich z.B. bei der Versandbuchhandlung www.missing-link.de
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